Die Eier des Adlers – Anmerkungen zur Entstehung von Kunst

Der Ukraine-Krieg dauert nun schon 9 Monate. Und wir unterstützen die Ukraine mit „militärischem Gerät“,
wie es neutralisierend heißt. Dabei sieht es nicht so aus, als ob die russischen Aggressoren sich hier
aus irgendwelchen Gründen bald zurückziehen würden und dann alles so sein könnte, wie früher…
Früher, wo immer alles besser war… Für jemanden wie mich, der friedensbewegt aufgewachsen ist, war bis vor kurzem
ein erneuter Krieg in Europa unvorstellbar. Naiv? Vielleicht. Oder eben jetzt auch offensichtlich. Eben jenseits dessen,
was man sich vorstellt – oder eben auch wünscht. Aber ohne Visionen geht halt auch nichts.
Apropos: Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen. Dieses Zitat, oder vermutlich so ähnlich, stammt von Helmut Schmidt.
Ein sozialdemokratischer Kanzler, der sich massiv dagegen gewehrt hat, dass deutsche Rüstungsindustrie Waffen in Krisengebiete liefert.
Der sich allerdings auch dafür eingesetzt hat, dass U.S.-amerikanische Raketen auf deutschem Boden stationiert wurden.
Das war in den 1980er Jahren. Und auch ich bin damals noch dagegen auf die Straße gegangen…
Klar, die Welt hat sich seither weitergedreht und der Kalte Krieg war einige Jahre später dann – wieder unerwartet – vorbei.
Was wir hingegen nun seit einigen Jahren schon wieder beobachten können ist die Zunahme von nationalistischen Bestrebungen.
Und man muss da nicht Donald Trumps „America first“, oder Bolsonaro in Brasilien bemühen, es reicht der Blick in ebenfalls demokratisch aufgestellte, europäische Nachbarländer wie Ungarn oder Polen, um zu erkennen, was es für eine europäische Gemeinschaft bedeutet, wenn einzelne Länder wieder – unter demokratisch (!) gewählten Regierungen – beginnen, sich gegenüber anderen abzugrenzen.
Das wirklich bedrohliche scheint mir zu sein, dass es tatsächlich „salonfähig“ wird, nun doch auch mal wieder mehr „an uns“ zu denken.
Und damit die Abgrenzung und die Ausgrenzung von den vermeintlich Anderen zu einer akzeptierten Haltung wird. Die entsprechenden Zitate von Parlamentariern unseres Bundestages erspare ich mir an dieser Stelle. Aber man findet diese eben längst schon wieder an den Stammtischen und weit verbreitet hier in diesem Netz, in dem auch ich hier schreibe. Zentral für die Demokratie ist die freie Meinungsäußerung. Und das ist gut so. Allerdings muss man sich bewusst machen, dass Demokratie damit immanent immer auch Tendenzen unterstützt,
die ihre eigene Abschaffung begünstigen. Der Blick in die deutsche Geschichte hilft, um zu erkennen, wie anfällig eine demokratische Gesellschaft auf das Versprechen einer starken deutschen Nation zumindest in den 1930er Jahren noch war. Die Konsequenz dieses Nationalismus war massive Ausgrenzung von Menschen, die dann nicht mehr zur vielbeschworenen Volksgemeinschaft gehörten. Zuforderst alle Deutschen jüdischen Glaubens, aber eben dann auch Menschen, die eine andere, dann nicht mehr legitime, politische Meinung vertraten. Die Konsequenz des deutschen Nationalismus war dann schließlich der Krieg gegen die Nachbarnationen – bis zum Untergang der eigenen Nation.
Wer die Ruinen der deutschen Rüstungsindustrie in Peenemünde gesehen hat, die heute weiterhin von der Natur zurückerobert werden, oder wer einmal Kriegsgräberstätten in Europa besucht hat (zum 1.Weltkrieg besonders beeindruckend Flanders Field in Belgien), der sieht die Folgen von Nationalismen. Gleiches gilt, wenn man sich mal mit Kriegerdenkmalen beschäftigt hat, die in der Folge beider Weltkriege in unseren Städten und Dörfern errichtet wurden. Je nach Zeit ihrer Errichtung finden wir dort dann allerdings zusätzlich, mehr oder weniger ausgeprägt, wieder die Ansätze von neuen, alten Nationalismen. Gerade diese Gedenkstätten, die auch heute in unserer Erinnerungskultur, zumeist am Toten-Gedenktag, eine zentrale Rolle spielen, müssen in einer Zeit, die uns mit einem erneuten Krieg in Europa vor Augen führt, was Nationalismen an Konsequenzen nach sich ziehen, spätestens jetzt neu betrachtet werden. Jede Generation erneut und jede Stadtgesellschaft, noch dazu in einer Demokratie,
haben gerade an solchen Orten die Chance und auch die Pflicht, die eigene Haltung zur eigenen Geschichte zu überdenken.

Insofern ist es egal, von welcher Stadt ich gerade spreche. Überall gibt es diese Orte für das Erinnern.
Und so habe ich mich mal dem, der mir am nächsten liegt angenommen. Es ist jetzt schon etliche Jahre her,
dass ich mich auch beruflich als Direktor des Museums in Peenemünde um Gedenkorte und die Fragen ihrer Rezeption bemüht habe.
Und so kam es auch für mich selbst wieder etwas überraschend, dass ich mich im Januar diesen Jahres
dem Kriegerehrenmal meiner Stadt gegenüber sah und mich erstmals sehr bewusst angenähert habe. Keine Ahnung warum.
Eine erste Fotoserie entstand.
Eine eigenartige Anziehung. Eine eigenartig unangenehme Atmosphäre. Für eine kleine Stadt viel zu groß.
Strenge Axialität, martialische Bildsprache. Ein weiter Platz der heute eher um-gangen wird.
Obwohl er idyllisch von Bäumen umstanden ist und im Zentrum unserer Stadt liegt.
Nur wenige Wochen vor Ausbruch des 2.Weltkrieges wurde dieses Kriegerehrenmal eingeweiht.
Und bis heute blieb es unangetastet und unkommentiert. Abgesehen von einer Ergänzung aus den 1950er Jahren, wiederum zeittypisch,
und der Ergänzung eines jüdischen Namens unter den Toten des 1. Weltkriegs.
Und heute haben wir wieder Krieg in Europa. Unfassbar und bis vor wenigen Monaten auch für mich unvorstellbar.
Wie damit umgehen? Wie in einer demokratieverwöhnten Stadtgesellschaft und
unserer Erinnerungskultur mit solch einem Ort umgehen? Ausblenden geht jetzt nicht mehr.
Spätestens jetzt sollte dieser Platz des Heldengedenkens ein anderer werden.
Nach vielen weiteren Stunden und Besuchen an diesem Ort entstand eine erste Installation
aus Beton, Stahl und Fotografie, in der ich diesen vorgefundenen historischen Ort aufgenommen habe.
Eine Arbeit, die maßgeblich auch die oben geschilderte Crux zwischen
dem demokratischen Europa und den wieder aufkeimenden Nationalismen thematisiert: Die Eier des Adlers.
Vielleicht der Auftakt für ein weiteres Projekt am realen historischen Ort. Man wird sehen.

 

 

1938 war es jedenfalls eine Auftragsarbeit, initiiert vom örtlichen Kriegerverein und kontrolliert vom Gau-Kulturwart…
und, nach Angaben in der Tageszeitung, zum großen Teil finanziert aus freiwilligen Spenden der
Bürgerinnen und Bürger Drensteinfurts. Die Kosten des Kriegerehrenmals beliefen sich auf 13.000 RM,
die größtenteils und aus „freiem Willen“ durch die damals 3.400 EinwohnerInnen aufgebracht wurden.
Der durchschnittliche Monatsnettolohn lag 1938 da bei 165 Reichsmark.

Interessanterweise hat der damalig ausführende Bildhauer Albert Mazzotti – zumindest für mich –
eine kleine Botschaft untergebracht, die dem propagandistisch geschulten Auge des Gau-Kulturwarts
wohl entgangen war. Der alles dominierende Reichsadler hält in seinen Fängen weder Eisernes noch
Hakenkreuz, sondern steht beschützend auf seinem Horst, einem liegenden Eichenlaubkranz, der
eher einem LKW-Reifen gleicht, aus dem seine zwei jungen Adler blicken. Ein Hinweis auf die
inzwischen herangewachsene Brut des seit 1933 allgegenwärtigen Nationalsozialismus? Ich denke, ja.
Zumindest ist mir keine weitere Darstellung des Reichsadlers in dieser Konstellation bekannt. Und
auch ist klar, dass Mazzotti die durchaus mutige Idee vorgelegt hatte, auf der Rückseite des
Ehrenmals für die Toten des 1. Weltkriegs ein ebenso mächtiges, christliches Kreuz zu zeigen. Dieses
christliche Symbol kam nicht durch. Mazzotti ersetzte es durch eine trauernde Mutter, die die
Gesichtszüge seiner eigenen Mutter tragen soll. Die Durchsetzungsfähigkeit dieses Bildhauers ging
allerdings nicht so weit – auch wenn das der ein oder andere Geschichtsschreiber wohl im Nachhinein
gern so gesehen hätten -, dass dieses Ehrenmal nun so gar kein Hakenkreuz gezeigt hätte – und
damit quasi frei wäre von nationalsozialistischer Ideologie. Ein Blick auf die Rückseite reicht aus, um
festzustellen, dass da was nicht stimmt. Und tatsächlich findet sich wieder ein Zeitungsfoto von 1944,
das hier den Reichsadler diesmal mit Hakenkreuz als Flachrelief zeigt – über dem Kopf der trauernden
Mutter. Die sie umgebenden, stürmenden und handgranatenwerfenden Soldaten sind noch da. Der
Adler mit Hakenkreuz ist nicht mehr zu sehen. Ein kleines Stück einer Sandsteinplatte, genau jenes
mit dem Hakenkreuz, wurde neu eingepasst. Und die Platte mit dem restlichen Adler könnte in diesem Arbeitsgang,
im bekanntermaßen sparsamen Westfalen, in einer Zweitverwendung auch schlicht nur umgedreht worden sein.
Spätestens die im Grundstein abgelegte Urkunde sollte uns auch heute
noch Beleg genug sein, in welchem Geist dieses Kriegerehrenmal bis heute mahnt:
An was wir uns, und v.a. wie wir uns an diesem Ort erinnern sollen und welcher damals
vorherrschende Geist mit diesem Ehrenmal (und damit eben bis heute) zum Ausdruck gebracht wird,
beschreibt der Text der Grundsteinlegung. U.a. heißt es da,
„… im Jahrder Wiedervereinigung Oesterreichs mit Deutschland, der Großtat unseres Führers Adolf Hitler, im VI. Jahr
seiner Regierung, errichteten die Gemeinden Drensteinfurt-Stadt und Kirchspiel den im Weltkriege 1914 – 1918
gefallenen Söhnen der Heimat dieses Ehrenmal. Kündend, mahnend und verpflichtend soll es auftragen zur Ehre
der feldgrauen Soldaten, die auszogen zum Schutze deutschen Bodens, zum Ruhme unserer Toten, deren Blut
die fremde Erde trank, deren Leiber die Fluten der Meere verschlangen, deren Geist lebendig blieb im Geiste
unseres Volkes, von dem diese Steine reden. Zeuge soll es sein der Überwindung deutscher Not und Schmach durch die
Kämpfer der Bewegung Adolf Hitlers, die reinen Willens Blut und Leben gaben im Glauben an Deutschlands Wiederauferstehung.
… Wir Lebenden bekennen uns durch dieses Werk zum heiligen Vermächtnis unserer Toten.“

Die „Eier des Adlers“ nehmen Bezug auf die bestehenden Elemente dieses Krieger-Ehrenmals. In der
Flammschale der 1950er-Jahre, die übrigens nach dem Willen ihrer Erbauer vor Ort regelmäßig
wieder entzündet werden sollte, ist wieder ein Adler-Nest entstanden. In ihm sitzen diesmal
noch keine Jungvögel, allerdings liegen dort, weichgebettet auf einem Kissen (aus Beton), bereits wieder zwei
Adlereier. Für mich Symbol für die Nationalismen, die inzwischen weltweit deutlich wieder Zuspruch
finden. Die unauflösbare Crux daran ist, dass jedes demokratische System (auch unseres), indem es
andersgeartete Meinungen richtigerweise zulässt und damit unsere Vielstimmigkeit befördert,
eben auf der anderen Seite gleichzeitig das Denken in Abgrenzung zu allem und jedem anderen möglich macht
und es damit legitim erscheinen lässt.  Bedrohliche Ambivalenz. Die Demokratie zeigt sich als
ein äußerst fragiles System, das es dennoch und gerade deshalb zu schützen gilt. Aber eben genau in
diesem Bewusstsein von Achtung und Zusammenhalt. Auch in unseren Stadtgesellschaften.
Meine Hoffnung gilt dabei dem Zusammenhalt in einem weiter vereinten Europa,
das ebenso unsere Demokratien wie unsere Vielstimmigkeit als hohen Wert schützt.
Aber eben genauso von wieder aufkommenden Nationalismen bedroht ist…
Ein Plädoyer und ein Mahnmal.

Link zu Atelierfotos Eier des Adlers

Wie aber mit solchen Orten dann heute umgehen? Wie aber nun auch mit dem konkreten Platz und diesem Kriegerehrenmal umgehen?
Erinnern ist heute, im Zeichen des Krieges, wichtiger denn je. Und so ist ein Mahnmal zum Andenken an die deutschen Kriegstoten
zunächst auch noch völlig zurecht heute fester Bestandteil der örtlichen Erinnerungskultur. Und dies ganz sicher nicht
im nationalsozialistischen Geiste, wenn am Toten-Gedenktag oder anlässlich jeden
Schützenfestes an selbiger Stelle dieser martialischen Anlage Kränze niedergelegt werden.
Und dennoch tappen wir da in eine Falle, wenn wir den Ritus unreflektiert weitertragen.
Auch Traditionen dürfen sich ändern. Und manchmal müssen sie dies sogar tun.
Mir als Künstler steht es nicht zu, die Formen des Gedenkens zu be- oder gar zu verurteilen.
Diese Diskussion muss die jeweilige Stadtgesellschaft führen.
Aber für mich als Künstler ist es ein inneres Bedürfnis, vielleicht auch Verpflichtung, einen Anlass
zu schaffen, um diesen Ort im Zentrum unserer Stadt und seine Rituale aus heutiger Sicht neu zu reflektieren.
Neben und nach den Eiern des Adlers entsteht hieraus so gerade ein neues Projekt, dass ich im Arbeitstitel „Garten der
Erinnerung“ nenne. Eigentlich ein Stück Land-Art. Und eine Mischung aus inhaltlichem und
ökologischem Neu-Denken dieses historischen Erinnerungsorts.
Es geht darum, die Vergangenheit und damit das bestehende Denkmal zu akzeptieren.
Es geht nicht darum, es anzugreifen oder gar zu negieren, sondern, im Gegenteil, es bewusst zu akzeptieren und es einzubinden
– und ihm eine zeitgemäße Facette unseres Denkens über die Gefahren heutiger Nationalismen hinzuzufügen.
Ein Plädoyer für den Zusammenhalt in Europa, genauso wie für den Zusammenhalt in unserer Stadtgesellschaft.
Dann vielleicht auch wieder ein Platz, den die Menschen wieder annehmen
– mit allen Erinnerungen, die es zu entdecken gibt.